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Tief unter der Oberfläche, wo die Dvergar Zuflucht gefunden hatten, wuchs ein Ort heran, der die Innenwelt genannt wurde. Dies war ein wunderlicher Ort, voll von fremdartigen Kreaturen, verschachtelten Tunneln und dunklen Geheimnissen. Eines der Kinder der Innenwelt wurde Thyra genannt.

Für das kleine Mädchen waren die Tropfende Halle, die Halle des Geschenks der Erde und die Halle der Steinflamme nicht genug. Sobald sie laufen konnte, liebte sie es, auf Erkundungsgänge zu gehen und es zog sie in die tiefsten Höhlen und entferntesten Ecken der „Dunklen Felder“. In einem Versuch, ihre Sicherheit zu gewährleisten, beauftragten die beunruhigten Älteren, die Aufgestiegenen ihres Knotens, sie damit, über ihren Werdegang nachzudenken. Sie wurde oft zum Meditieren unter dem fluoreszierend blauen Licht des Springbrunnens geschickt, der einen Großteil der Tropfenden Halle einnahm.

Aber auch dort öffnete sich eines ihrer Augen wie von selbst, linste nach dem wunderlichen Licht und wanderte dann weiter, um in den verdunkelten Ecken und Spalten der Halle nach Dingen zu suchen, die sonst niemand entdeckte. Sie verbrachte ihre komplette Freizeit damit, die durchdringende Dunkelheit noch nie zuvor betretener Tunnel zu erforschen oder in jenen Flüssen zu schwimmen, die sich noch viel tiefer in die Erde gruben. Den Geschichten der Aufgestiegenen ihres Knotens lauschte sie nur, um mehr über wundersame Dinge und Orte zu erfahren, an denen sie noch nicht gewesen war.

Auch wenn sie mutig genug war allein hinauszuziehen, so war das Unternehmen doch spaßiger, wenn sie einen Freund mitnahm, mit dem sie Späße machen konnte. Ihr enger Freund Gaumr begleitete sie oft, doch er erwähnte des Öfteren, dass er weder so mutig, noch so unvorsichtig wie Thyra war, die sich über Abgründe schwang und immer mit dem sie umgebenden Stein eins zu sein schien, so dass sie selbst in den engsten aller Räume nicht stecken blieb. Wohl war er als Sohn eines Aufgestiegenen ihres Knotens ein wenig höher gestellt als sie, doch die kleine Waise überholte ihren Freund schnell, wenn es um das Begehren nach mehr ging, darum, über die Steinmauern, die sie ihr Heim nannten, hinauszugehen. Andere mochten sich wohl mit dem Bauen und der Herstellung oder der Magie der Runen und ihrer Mysterien zufriedengeben, doch Thyra wollte immer nur das eine: erkunden.

Und so wuchs sie zu einer Dvergarfrau heran, die wenige Bindungen und einen engsten Freund hatte. Sie grübelte und wanderte, meistens allein.

Eines Tages wanderte sie gerade in Richtung ihres Meditationsplatzes in der Tropfenden Halle, jenem Ort, an dem sie nie auch nur eine Sekunde lang still sitzen konnte. Sie fand die Halle nahezu verlassen vor, nur ein einzelner Junge trainierte dort seine Fertigkeiten. Er stand nahe eines Tisches und hantierte mit einigen komplexen Apparaturen und Werkzeugen, die für Thyra keinen Sinn ergaben. In diesem stillen Steingewölbe schienen seine Uhrwerke und Zahnräder mit dem Tropfen des Wassers auf die ruhelose Oberfläche des Sees im Einklang zu ticken. Die graublauen Wände um sie herum hüllten sich in Schweigen, so wie sie es schon seit tausenden von Jahren machten, schon zu einer Zeit bevor die Dvergar kamen.

Sie näherte sich und schaute über seine Schulter auf das glänzende Wirrwarr an Dingen, mit denen er arbeitete. Der Junge fuhr sie wütend an: „Es ist noch nicht fertig!“

„Das kann ich sehen. Geht in Ordnung, ich ziehe Jungen vor, die zum richtigen Zeitpunkt fertig werden.“

Er fuhr fort ihr verzerrtes Spiegelbild im See anzustarren. Gerade als sie sich umdrehen wollte, fing er an zu sprechen. „Du kannst mir helfen, wenn du möchtest. Mein Bruder ist zu ungeschickt. Mein Name ist Sindri.“

Thyra hob die Augenbrauen. „Das ist der selbe Name wie…“

„Ja, ich wurde nach dem Ort benannt, von dem wir kommen. Mein Bruder sagt, dass das ein lächerlicher Name für mich ist, aber ich mag ihn. Wie auch immer, ich weiß bereits, dass du Thyra heißt. Also, hilfst du mir nun oder nicht?“

„Ich kann es versuchen, aber ich habe nicht die Geduld dafür.“ Trotzdem beugte sich Thyra über den Tisch, den er aufgebaut hatte, und hielt ein sich drehendes Zahnrad mit einer Pinzette an Ort und Stelle, während Sindri vorsichtig eine dünne Glaslinse platzierte. „Was wird das überhaupt?“, fragte sie.

Sindri lächelte ohne aufzuschauen. „Noch ist es gar nichts, erinnerst du dich? Was es einmal wird, na ja… da musst du warten und du wirst es erfahren. Etwas Neues glaube ich.“

Thyra seufzte und lehnte sich zurück. „Ich hasse es zu warten. Trotzdem, es sieht schön aus.“ Eine andere Stimme antwortete: „Wie dein Gesicht. Ich meine, du kannst es haben. Wenn es fertig ist. Ich meine, es ist für dich.“

Sindris Augen fokussierten weiterhin auf seine Arbeit, aber es war nicht er, der gesprochen hatte.

Ein weiterer Dvergr stand nahe des Sees. Es war Gaumr, der verlegen in Thyras Richtung grinste. „Und ich bin derjenige, der Sindri damit beauftragt hat, dir ein Geschenk zu basteln. Bevor du fragst, gern geschehen. Sieh es als eine Art… Bestechung, damit ich dich begleiten kann, wenn du dort hoch gehst?“ Mit einem weiteren Grinsen wies er auf die dunkle Öffnung oberhalb des Springbrunnens hin, der sich in den See ergoss.

Thyra war diese dunkle Öffnung zuvor nie aufgefallen, trotz all der Zeit die sie damit verbracht hatten, ihre Augen durch den Raum der Meditation wandern zu lassen. Es lag wohl daran, dass sie ihren Kopf nie erhoben hatte. Thyras begegneten Gaumrs Augen und sie nickte, wobei sie Sindris mysteriöses Lächeln gar nicht bemerkte.

Später, als sie ihre Sachen zusammengesucht hatten und zum Aufbruch bereit waren, zögerte Gaumr. „Bist du dir sicher, dass wir an alles gedacht haben? Was ist, wenn wir in einem engen Zwischenraum stecken bleiben, oder uns verlaufen? Vielleicht sollten wir einen der Älteren fragen…“

Thyra hob die Arme, um ihn zu unterbrechen. „Das hier ist ein Abenteuer für uns tapfere und mutige, Gaumr. Es bleibt allerdings ganz allein dir überlassen, ob du mich begleiten willst.“

„Red nicht so.“ Gaumr zog ein säuerliches Gesicht, als ob er auf eine Zitrone gebissen hätte. „Ich wollte ja nur fragen. Also, kommst du endlich?“ Mit diesem Satz schwang er sich seinen Rucksack auf den Rücken und erklomm die ersten der gut versteckten Stufen auf der Rückseite des Springbrunnens.

Die Tropfende Halle hinter sich lassend, fanden sie einen schwach beleuchteten Tunnel. Es war gerade genug Licht für ihre reflektierenden Augen, um die verdrehten Gesteinsformationen und fremdartigen Strukturen der Tunnelwände ausmachen zu können. Mit ihnen kämpften sich winzige höhlenbewohnende Kreaturen ihren Weg durch den Tunnel und Thyra, die vorerst Gaumrs Führung folgte, gab sich alle Mühe, nicht auf sie zu treten. Die Miniaturbewohner der Innenwelt schenkten dem keine Beachtung, waren sie doch zu beschäftigt mit ihren eigenen Angelegenheiten.

Sie gingen für eine lange Zeit durch den dunklen verdrehten Tunnel, bevor sie schließlich an eine Stelle kamen, an der das Gestein sich öffnete, und den Blick auf eine weitläufige, vor langer Zeit von der Natur geformte Halle freigab. Ihre Schritte waren hier die einzige Bewegung, wo seit unzähligen Äonen nur Stille und Ruhe geherrscht hatten, wo das Gestein sich verformte und im Versteckten eine einzigartige Schönheit angenommen hatte.
Das Gestein wölbte sich in komplizierten Mustern empor. Wasser floss in Rinnsalen die Wände hinab und sammelten sich in Lachen, wo das Gestein weich war und es sich in eine milchige Flüssigkeit aufgelöst hatte, darauf wartend auszutrocknen und über Äonen neue Formen zu bilden.

Thyra und Gaumr standen atemlos da, schauten umher und ließen die Ecken und Spalten auf sich wirken, die die Wände der enormen Höhle mit einem fischschuppenartigen Muster verzierten.

Eine Stimme hinter ihnen sagte: „Wow… eine Schmiede der Erde.“

Sie drehten sich erschrocken um, nur um den jungen Sindri dort mit einem eigenen Rucksack stehen zu sehen. Er war ihnen lautlos gefolgt und hatte all seine Werkzeuge und Instrumente in Stoff gewickelt, um sie zu schützen (oder vielleicht nur um ihre Geräusche zu dämpfen).

Zuerst schaute Thyra finster drein, doch dann schmunzelte sie über Sindris staunenden Blick.

„Was?“, kicherte Gaumr, „Hast du noch nie eine Höhle gesehen? Und überhaupt… was ist eine Schmiede der Erde?“
Sindris Augen wanderten umher. „Es ist das. Dieser Ort, wo Formen aus Stein entstehen. Ich kann hier bauen… ich kann hier erstaunliche Dinge bauen. Alles.“

Thyra schaute in der wunderbaren Höhle umher. „Wirklich? Du kannst alles machen? Warst du etwa am Pilz-Bier?“

„Nein!“ Sindri schaute verärgert. „Ich habe übrigens Gaumrs Geschenk für dich fertiggestellt. Hier. Ich wusste nicht, dass es Orte wie diesen gibt… Ich wünschte, ich hätte dich schon früher bei deinen Erkundungen begleitet!“

Thyra ignorierte Gaumr, der anfing zu erklären, dass Sindri nicht ‚mit‘ ihnen erkundet, und zog das goldene Schmuckstück aus der Ledertasche. Es bestand vollständig aus glänzenden Zahnrädern und funkelnden Linsen, und es begann sich in ihrer Hand brummend einzuschalten. „Was… macht es?“

Gaumr drehte sich um, bevor Sindri antworten konnte. Der alte Dvergr räusperte sich und zuckte mit seinen steinernen Achseln. „Ich dachte, dass mit deinen Interessen… nun, es ist dazu gedacht, dich zu neuen Orten zu führen und Dinge finden zu lassen, die du vorher nicht sehen konntest. Sindri ist ein Ausnahmetalent, deshalb habe ich ihn damit beauftragt, dir etwas zu bauen.“

„Aber sag ihm nicht, dass ich das gesagt habe“, fügte er hinzu und warf grinsend einen flüchtigen Blick auf den Jungen.

Doch Sindri war bereits weitergelaufen, starrte erstaunt auf die Formationen und mysteriösen Rundungen der Wände. Gaumr drehte sich mit einem weiteren Witz auf den Lippen zu Thyra zurück, doch sie war in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Sie drehte sein Geschenk in ihren Händen und erkundete die versteckten Ecken der Untergrundhalle. Gaumr musste in der widerhallenden Stille lachen. „Pff, natürlich, beachtet Gaumr nicht, er kommt schon alleine zurecht. Es gibt viel zu tun für Gaumr.“

Er beobachtete für einen Moment, wie die beiden herumliefen und an diesem wunderbaren Ort herumkletterten, dann schüttelte er seinen Kopf. „Ich könnte wohl ebenso gut etwas essen.“ Er ließ sich auf eine glatte Erhebung im Gestein plumpsen, zog einen versiegelten Krug und ein Stück Käse hervor. Beide Dinge kritisch beäugend, sagt er zu sich selbst: „Eines von beiden ist nahrhafter als das andere… und sorgt für bessere Kameradschaft.„ Er steckte den Käse zurück in die Tasche und nahm einen tiefen Schluck…

…und spuckte fast das ganze Bier aus, als Thyra hinter ihm sagt: „Du solltest mit mir kommen!“

Er wischte seinen Bart mit dem Handrücken ab und schaute empor, wo Thyra stand und das Schmuckstück vor ihrem Gesicht hochhielt. Ihre Augen strahlten fast vor Aufregung. „Wovon redest du?“ Er begann zu husten.

„Ich rede über dieses Ding. Ich denke, dass ich etwas gefunden habe… eine Art Pfad, der nach oben führt! Zur Welt, die oberhalb liegt!“

„Die Außenwelt? Gaumr schaute unsicher. „Warum würdest du dort hingehen wollen? Sie ist von schrecklichen Stürmen bedeckt!“

„Die Stürme, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind? Willst du denn nicht die Dinge sehen, von denen uns die Aufgestiegenen erzählt haben? Die Stürme, die Berge, den… Himmel?“

Gaumr nahm einen weiteren Schluck, um seine Nerven zu beruhigen. Niemand hat daran gedacht, zurück zu gehen, nicht in Äonen, so schien es ihm. „Mein Vater sagt, dass alle dort oben zu Monstern wurden. Ist es uns überhaupt möglich, dort hin zu gehen?“

„Nein.“ Sindri kletterte über die glatten Felsen zu ihnen zurück. „Noch nicht, es ist noch nicht möglich! Sogar mit meinem speziellen kleinen Kompass würdet ihr niemals einen Weg hindurch finden. Deshalb frage ich mich selbst, wie reise ich, wenn ich auf ein undurchdringliches Hindernis stoße, wie einen See voller Wasser. Ich kann ihn nicht alleine durchqueren. Ich muss ein Schiff zur Hilfe nehmen.“

Die beiden schauten ihn verwirrt an. „Was ist das?“, fragten sie gleichzeitig.

Gaumr fügte hinzu: „Hast du gerade gesagt, was ich glaube, dass du gesagt hast? Denn du hättest gehen sollen, bevor wir aufgebrochen sind.“

Sindri ignorierte den letzten Kommentar und zuckte mit den Achseln. „Es ist etwas, in dem man reisen kann. Mein Vater sprach manchmal über sie. In einem der anderen Knoten werden sie benutzt, um breite Seen zu überqueren. An diesem Ort… werde ich ein Schiff bauen, das durch die Erde segelt!“

Seine Stimme hallte durch die Höhle und für einen Moment glaubten ihm beide. Aber dann schüttelte Gaumr seinen Kopf. „Ich werde meinen Vater fragen müssen…“

Thyra stieß ihm mit ihrem steinigen Ellenbogen in die Rippen. „Siehst du nicht, dass er nachdenkt? Wenn du gehen willst, dann lass ihn in Ruhe.“

Gaumr schaute sie an und seufzte: „Ich sehe schon, du bist davon gefesselt und entschlossen es zu machen. Die Außenwelt zu sehen, oder? Vielleicht kommst du besser mit und wir sprechen mit den Aufgestiegenen.“

In der Halle der Anhörung, wo die langen, grau gescheckten Bärte wackelten, trug Thyra ihren Fall vor.

„Erlaubt uns zur Oberfläche zu reisen und lasst uns zumindest sehen, ob die Stürme noch immer toben!“

Gaumrs Vater hatte eine Anhörung verlangt. Die anderen Aufgestiegenen des Knotens hatten König Durnir selbst gerufen, um das Gesuch anzuhören.

Der König stand da und streichelte seinen grau melierten Bart. Der einzige Ton in der Halle, die mit Reihen von massiven Stühlen und Thronen aus Stein durchzogen war, war das Klimpern der goldenen Amulette, die in Durnirs Haar geflochten waren. Es erschien wie eine Ewigkeit, bevor er zu sprechen begann: „Die größte Tragödie unsere Volkes geschah dort, auf der Außenwelt. Wir verloren die Stadt, aus der wir stammten, unsere Ehemänner, Ehefrauen, Söhne und Töchter. Wir hörten, wie sie zu räuberischen Bestien wurden und die Tunnel mit ihren Schreien erfüllten. Wir kamen hier her und bauten uns ein neues Leben in einer neuen Welt auf, der Innenwelt. Du willst die Erlaubnis, all das wegzuwerfen? Du willst die Erlaubnis andere dazu zu verleiten, uns ebenfalls zu verlassen und uns ihres Könnens und ihrer Fähigkeiten zu berauben?“

Seine Augen richteten sich fragend auf Thyra, die auf dem Podium in der Mitte des Raumes stand. Sie schluckte mit trockenem Hals und sprach zögerlich. Es schien, als ob ein beim Erforschen von leeren Höhlen und beim Entdecken von unbekannten Orten verbrachtes Leben einen nicht auf öffentliche Reden vorbereitet. „Ich bitte lediglich um die Erlaubnis, dass der junge Sindri sein… Meisterstück bauen darf. Ich bitte um die Erlaubnis, dass Gaumr neuen Ruhm für seinen Familiennamen finden darf“, fügte sie hinzu und ihre Stimme wurde kräftiger, als sie einen flüchtigen Blick an die Stelle warf, an der Gaumrs Vater feierlich auf seinem hohen Thron saß, in der Robe seines Amtes des Aufgestiegenen. „Und ich bitte um die Erlaubnis, dass es mir und jedem Dvergr, der mehr will, der die Luft im Freien atmen will und der den Himmel sehen will, gestattet wird, diesem Traum zu erfüllen. Ich versichere euch, wir werden zurückkehren – weiser und besser, aufgrund unserer Reisen.“

Durnir nickte langsam. „Ich versteh was du meinst. Aber ich glaube nicht, dass du die Gefahren einer solchen Reise verstehst und auch nicht die Konsequenzen, wenn du es nicht schaffst, all deine Versprechungen zu erfüllen.“ Er lehnte sich zu seiner Rechten und zu seiner Linken, um das Geflüster von Gaumrs Vater und einem weiteren Aufgestiegenen anzuhören. Mit entschlossenem Nicken richtete er sich auf und schaute direkt in Thyras Augen. „Es ist die Entscheidung der Aufgestiegenen dieses Rates, dass du von all deinen Bestrebungen von einer Reise zur Außenwelt Abstand nimmst und ebenfalls niemanden dazu verleitest, ein Gefährt zu bauen, das solch eine Reise vollbringen könnte – und sei es noch so meisterhaft.“ Für einen Moment wurden sein Blick milde und er lächelte schief hinter seinem Bart. „Nimm es nicht zu schwer, liebe Thyra. Schließlich würde ein Schiff aus Stein auch genau wie ein Stein sinken.“

Vereinzeltes Gelächter breitete sich in der Halle aus und hallte durch den Raum mit glatten Säulen und Wänden. Thyra schaute zu ihren Knien und starrte auf die steinigen Kniescheiben unter ihrem Rock, um Zeit vor ihrer Antwort zu schinden.

„Nein!“, brach eine Stimme in das Gemurmel der Halle der Anhörung, die rau war, vor Alter krachte und doch voll war von verspielter Weisheit. Es war Motsognir, der erste Dvergar. Er erschien wie von Zauberhand aus einem Riss in der Wand, bedeckt von Staub. Er war in eine seltsame Kombination aus einer Robe der Aufgestiegenen und einer Bergmannsuniform gekleidet, voller unpassender Teile in braun und grau. „Nein! Hier werden keine Schiffe versenkt, oder Ideen.“ Er blickte hinauf zu Durnir, der auf dem höchsten Thron saß. „Das Verlangen zu Erforschen, neue Orte zu finden, ist das, was uns überhaupt erst hierher in Sicherheit brachte. Du wurdest vom Vorarbeiter zum König, Durnir – hast du das etwa vergessen? Wirst du diesem Waisen die gleiche Gelegenheit versagen?“

Durnir schaute verärgert. „Ich wurde vor all diesen Jahren selbst zum Waisen. Würdest du mich erlauben lassen, dass Gaumrs Vater Tränen vergießen muss?“

Motsognir nickte. „Wenn es das ist, was nötig ist. Ich bin zu müde und zu alt für diese Reise… aber wenn ihr die Jungen aufhaltet, dann verdammt ihr sie zum Stillstand.“

Durnir stand auf und fegte von seinem hohen Thron herab, sein Gesicht war zornerfüllt. Seine dunkle Robe wogte, während er die Halle hinabstürmte. „Du kannst sagen was du willst, alter Motty, und aus Respekt kann ich nicht antworten, was ich wirklich denke!“

Danach, in einer dunklen Ecke der Tropfenden Halle, wo alles im blauen Licht des Springbrunnens schimmerte, trank Thyra still mit ihren beiden Freunden. Sindri kaute auf seinem Krug herum, während Gaumr einfach nur zwischen den Schlucken auf das Schimmern der dunklen Flüssigkeit starrte.

Irgendwann stand Thyra auf und stelle ihren Krug hin. „Das ist lächerlich. Sie wissen nicht einmal wo die Tunnelöffnung ist, oder was dahinter liegt. Sie wissen sicherlich nicht was Sindri kann. Wir können hinaufsteigen und wieder herunter und wir wären zurück, bevor sie bemerken, was passiert ist.“

Sindri sprang auf seinen Stuhl und grinste breit. „Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest! Ich habe eine Liste von Materialien, die ich brauchen werde…“

Gaumr grummelte und blickte zu ihnen auf. Seine Augen sahen ein wenig verschlafen aus. „Wollt ihr, dass ich mich meinem Vater widersetze? Allen Aufgestiegenen, wirklich? Durnir selbst?“

Thyra seufzte. „Der alte Gaumr ist wohl ein wenig langsam, wenn er einen im Tee hat. Ja, natürlich will ich, dass du das machst. Und wenn wir bereit sind zu gehen, dann nimm jeden mit einem Fünkchen Neugier in seinen Steinen mit – vorausgesetzt du selbst hast noch welche.“

Gaumrs Augen glotzten. „Wie kann ich? Wie kannst du nur? Warum Dinge ruinieren…“

Thyra schüttelte ihren Kopf. „Denk einen Moment nach, Gaumr. Dein Vater wird weiterleben… lange genug, um dir zu vergeben. Nichts wird sich hier unten jemals ändern. Es gibt keine Bewegung. Ja, die Innenwelt ist wunderbar und voll von erstaunlichen Dingen… aber für uns wird es immer das gleiche sein. Sorge dich einmal in deinem Leben nicht um alle anderen. Denke nur an all das, was du sehen und erleben kannst.“

Gaumr stellte sein Getränk ab, grummelte wieder und griff zum dampfenden Krug, um sich mehr einzuschenken. Sindri und Thyra starrten ihn einfach nur erwartungsvoll an. Gaumr stoppte, mit seiner Hand in der Luft, dann ließ er sie fallen. „Oh, na gut“, brummte er. Der Dvergr hievte sich selbst hoch und blickte von einem seiner Kameraden zum anderen. „Gut, jetzt stehe ich auch. Wir stehen alle. Was nun?“

Sindri schnipste ihm das Papier zu. „Jetzt werdet ihr beide euch überlegen, wie ihr mir die Materialien auf dieser Liste besorgt, während ich zur Schmiede der Erde gehe und beginne das Erstaunlichste zu bauen, was ihr je gesehen habt.“

Thyra und Gaumr verstanden kaum, was Sindri machte. Schließlich bat der Junge seinen älteren Bruder um Hilfe, um den Strom des schlammigen Wassers in der Höhle zu lenken und um die sich kräuselnden Wellen aus Stein zu behauen, die sich formten. Es benötigte viele Wochen harter Arbeit, doch langsam aber sicher sahen die Freunde, wie ein gewaltiges Schiff in der Höhle Form annahm.

Als Sindri ihnen sagte, dass es nahezu fertig wäre, erkundigte sich Gaumr heimlich, wer es noch wagen würde, mit ihnen hinaufzusteigen, während Thyra auf die Suche nach Motsognir ging. Der alte Dvergr erzählte ihr mehr vom Leben auf der Oberfläche und fügte ein paar Warnungen über die Außenwelt hinzu. Er lehnte es weiterhin ab, sie zu begleiten, aber er gab seinen Segen.

Sindris Bruder entschied sich ebenfalls, zurück zu bleiben, mit dem Geheimnis des Steinschiffes im Kopf.

Man sagt, als sie schließlich aufbrachen, die erste Gruppe tapferer Dvergar, waren sie mehr als zwanzig, aber weniger als hundert an der Zahl. Die Geschichten erzählen nicht von all ihren Namen. Einige von ihnen zweifelten, dass Sindris Steinschiff funktionieren würde; andere zweifelten an Gaumrs Führerschaft, oder Thyras Vision der Außenwelt. Die einzige Sache, die sie nicht anzweifelten, war deren Mut.

Als sie sich alle dicht im Inneren drängten, vergoss Sindri, um Glück zu beschwören, ein Getränk und rief den Namen des Schiffes. „Skíðblaðnir“, rief er, „Bring uns heim!“

Daraufhin begann das Gestein unter ihren Füßen zu erzittern und die Dvergar im Inneren mussten sich stützen, als sich das Gefährt zu erheben begann. Das Schiff glitt durch die Erde, auf der Erde und in ihr, doch getrennt von ihr, ganz wie die Dvergar selbst. Es hinterließ keinen Tunnel oder eine Passage, sondern nutzte den Verlauf des Gesteins selbst als Pfad, geführt von Thyra und ihrem magischen Kompass.

Thyra und Gaumr benutzen all ihre Sinne und fühlten die vielen mysteriösen Schichten der Erde, die sie passierten, mehr, als dass sie sie sahen. Die fließenden Ströme von Gold und Silber, die großartigen Blicke auf eingebetteten Granit und die seltsamen Magmaflüsse. Sie blickten einander erstaunt an, als sie endlich begriffen, dass der Boden nicht unveränderlich und beständig, sondern ein aufgewühlter Mahlstrom der unterirdischen Wunder und ausgehöhlten Hallen ist.

Sie durchsegelten die Erde, reisten in Drehungen und Wendungen, aber aufwärts, immer näher und näher zur Außenwelt, von der sie nur in uralten Legenden gehört hatten.

Doch Sindri schien besorgt. Jedes Rütteln und Schütteln des Schiffes schien ihn mehr zu beunruhigen.

Thyra fragte ihn, was los wäre.

„Teile des Schiffes brechen auseinander und bleiben in der Erde zurück. Ich weiß nicht… ich weiß nicht, ob wir es schaffen können. Es ist die Beschaffenheit des Steinschiffs… ich hätte es bemerken und euch warnen müssen.“

„Wenigstens schwimmen wir noch immer wie ein Stein“, grinste Gaumr ihn an. „Kein Dvergr hat das jemals zuvor gemacht. Es ist ein Abenteuer für uns alle.“

Sie hielten sich am Schiff und aneinander fest, während sie reisten und sie spürten, wie die Steine um sie herum wegbrachen. Thyra stand am Bug des Steinschiffes, mit geweiteten Augen und entschlossenem Gesichtsausdruck, als würde sie das Gefährt mit ihrem bloßen Willen nach oben treiben. Das Gepolter schüttelte sie bis auf ihre Steinknochen, wie Donner unter der Erde.
Ihre Reise dauerte mehrere Tage. Die Dvergar versuchten so viel zu schlafen wie sie konnten, während sie in der Dunkelheit durchgeschüttelt wurden. Als sie ihrem Ziel näher kamen, konnten sie die Erde an den großen Löchern im Schiff vorüberziehen sehen. Thyra wusste, dass sie es nicht schaffen würden. Das Schiff war zu groß, zu seltsam und zu mysteriös, um zu funktionieren. Sie hatte es endgültig übertrieben und sie alle verdammt.

Durch die Spanten der Schiffshülle, die begonnen hatten, wie zerbrochene Zähne auszusehen, strömte heißes Wasser auf sie. Voll von Wärme, traf die Dvergar helles Sonnenlicht, ein Licht, das sie seit Generationen nicht gesehen hatten.

Wütende Rufe und überraschte Schreie erfüllten Thyras Ohren, aber sie lächelte in den blendenden Schein. Die Stürme hatten nicht für immer angehalten. Sie hatte eine neue Welt zur Erkundung gefunden.

Die große Gruppe von Wikinger-Kriegern, die in der heiße Quelle gebadet hatten, blieben nicht so gelassen. Ein gewaltiger Stein erhob sich aus dem Wasser, kaum noch in der Form eines Schiffes. Sie schrien und kletterten nackt ans Ufer. Dieses Bild der nackten, umherspringenden Männer, die schrien und ihre Waffen aufsammelten, würde für immer Thyras ersten Eindruck der Einwohner der Außenwelt prägen.

„Nun denn, das ist aufschlussreich“, murmelte Gaumr und zog seine eigene Klinge.

Sindri schaute sich mit einem mürrischen Gesichtsausdruck um. „Die sind doch egal. Mein Schiff ist in Stücke zerbrochen! Damit kommen wir nicht mehr zurück…“

„Ruhig Blut“, sagte Thyra und hielt Gaumr mit einer Hand zurück, während sie mit der anderen ihren Dolch zog.

Sie ging einen Schritt vorwärts in dem blubbernden Becken unter den aufragenden Überresten des Steinschiffs und rief: „Warum bedroht ihr uns? Wir haben keinen Grund, uns mit euren baumelnden Schwertern anzulegen…“

Für einen Augenblick war es still, als die großen Krieger einander in Wut und Verwirrung anblickten und dann hinab zu ihrem hosenlosen Zustand. Dann schritt ein gigantischer rothaariger Krieger mit einem schallenden Lachen nach vorn und senkte in förmlicher Weise sein Schwert. „Wie ich sehe, hat diese Dame einen Sinn für Humor, aber keinen für Timing! Ihr habt vielleicht einen ausgezeichneten Ort zum Baden ruiniert… aber ihr habt mich wunderbar zum Lachen gebracht!“

Die anderen Krieger entspannten sich ebenfalls, ein verständnisvolles Kichern fegte durch die Gruppe wie der Wind, der frei über ihre Haut wehte.

Der kräftige rothaarige Man zog seine Hosen hoch. „Ihr habt ganz schön Mumm. Ihr müsst in meiner Halle eine Mahlzeit und einen Trunk mit mir teilen, steiniges Volk.“ Mit einem grinsen fügte er hinzu: „Ich bin Sigurd, König dieses Reiches.“

Thyra und Gaumr schauten einander an und nickten langsam, während sie ihre Waffen wegsteckten. Es gab keinen Weg zurück; sie konnten nur noch vorwärts gehen.

Auf diese Art wurde die Freundschaft zwischen den Dvergar und den Wikingern geboren, eine Freundschaft, die sich als robust wie Stein und tief wie die Innenwelt beweisen würde.

Nickend wie zur Zustimmung zu einer gut erzählten Geschichte, lehnte sich der alte Dvergar in seinem Stuhl zurück und griff nach seinem Becher, der aufgehört hatte zu dampfen. Seine Augen reflektierten den Schein des Feuers, als er über den Becherrand blickte und einen gewaltigen Schluck nahm.

„Und ist es das, Großvater? Das Steinschiff draußen? Ist das alles, was übrig ist? Ich dachte, dass es größer sein würde…“ Der kleine Dvergr verzog sein Gesicht zu einem Lachen.

Der Alte lachte in seinen Bart, setzte den Becher auf dem Stumpf ab, der als Tisch diente, und schlug sich auf die Steinknie. „Ha! Nein, Junge, das war ein Schiff, das Sindris Bruder gebaut hat, das vor langer Zeit deine Amma und mich von den alten Landen der Innenwelt hier hoch gebracht hat… Nein, das erste Schiff, das zur Außenwelt aufstieg, hat Sindri gebaut und es war in der Tat ein großartiges Gefährt, es gibt nichts vergleichbares zu ihm in der ganzen Welt. Es war gewaltig genug, um eine ganze Gruppe von Dvergar zu fassen und keiner von uns war im Stande, an seine Größer heranzureichen. Und doch, trotz all ihrer wundersamen Kraft, konnte es niemals zurückkehren, nein, niemals zurück…“ Wieder einmal verfiel er in Stille.

Als der kleine Dvergr sicher war, dass sein Afi eingeschlafen war, stand er vorsichtig auf, legte sein Spielzeug hin und kehrte zum Fenster zurück. Wie aus einer großen Entfernung erreichte ihn die Stimme seines Großvaters. „Wenn du dir die Steine anschaust, die draußen stehen, dann denke an die Innenwelt und an den großen Scherz der Scherze.“

„Was meinst du, Großvater? Welcher Scherz?“ Aber es gab keine Antwort.

Der Schnee begann wieder zu fallen, gedämpft wie ruhiger Atem.

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